Neue Standardvertragsklauseln verabschiedet: Wo besteht jetzt Anpassungsbedarf?

Die Europäische Kommission hat am 4. Juni eine neue Version der Standardvertragsklauseln verabschiedet. Die Anpassung der „SCCs“ (Standard Contractual Clauses) stand bereits seit dem Beginn der Anwendbarkeit der DSGVO 2018 im Raum und erhielt durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall „Schrems II“ besondere Relevanz für Unternehmen, die Daten in Nicht-EU-Länder („Drittländer“) übertragen. Mit dieser Information wollen wir Ihnen einen Überblick zur Bedeutung der SCCs allgemein, den jetzt eingeführten Neuerungen sowie aktuellen Diskussionen und weiteren Entwicklungen geben.

Wann kommen Standardvertragsklauseln zum Einsatz?

Zur Erinnerung: Die DSGVO knüpft internationale Datentransfers an besondere Voraussetzungen. Wann immer Daten aus der EU an einen Empfänger in einem Nicht-EU-Land übertragen werden sollen, hängt die Rechtmäßigkeit dieses Transfers von zwei Fragen ab (auch „Zwei-Stufen-Modell“ genannt):

  1. Auf der „ersten Stufe“ bedarf die Übertragung an einen Dritten als Datenverarbeitungsvorgang zunächst immer einer Rechtsgrundlage nach Art. 6 DSGVO (häufig ist hier die „Datenverarbeitung zur Vertragserfüllung“ einschlägig) oder einer Auftragsverarbeitungsvereinbarung nach Art. 28 DSGVO. (Dies wird beim Drittlandstransfer häufig übersehen, wenn man nur auf die „zweite Stufe“ schaut.)
  2. Auf der „zweiten Stufe“ stellt sich die Frage, ob die Datenübermittlung in ein Drittland nach Art. 44 DSGVO nach den Vorschriften des 5. Kapitels der DSGVO zulässig ist. Der Gedanke dabei ist, dass das Schutzniveau der Daten durch den Transfer in das Drittland nicht unter das Schutzniveau in der EU absinken darf. Um dies sicherzustellen, sieht die DSGVO im Wesentlichen drei Mechanismen vor, wie eine solche Absicherung erfolgen kann: Erstens kann für das Empfängerland ein genereller Angemessenheitsbeschluss der EU-Kommission vorliegen, zweitens können „geeignete Garantien“ gem. Art. 46 DSGVO (zu denen die Standardvertragsklauseln zählen) vereinbart werden, oder es kann drittens eine Ausnahmeregelung nach Art. 49 DSGVO greifen.

Welche Bedeutung haben die neuen Standardvertragsklauseln
vor dem Hintergrund des „Schrems II“-Urteils?

In der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen „Schrems II“ war das bis dahin für Datentransfers in die USA auf der „zweiten Stufe“ vielfach genutzte „Privacy Shield“-Abkommen für ungültig erklärt worden. Unternehmen, die sich bis dato zur Absicherung der Zusammenarbeit mit Dienstleistern in den USA auf diesen Mechanismus beriefen, mussten eine andere Lösung finden und wechselten in den allermeisten Fällen zu den Standardvertragsklauseln.

Dabei ist jedoch eine wichtige Aussage des „Schrems II“-Urteils zu beachten, die häufig übersehen wird: Der Europäische Gerichtshof bestätigte in seiner Entscheidung zwar im Grundsatz die Gültigkeit der Standardvertragsklauseln, stellte jedoch gleichzeitig fest, dass auf diese Weise nicht pauschal jeder Transfer in ein beliebiges Drittland abgesichert werden kann. Vielmehr können die SCCs nur dann eingesetzt werden, wenn der Datenexporteur und der Empfänger im Drittland auch faktisch gewährleisten (und dokumentieren), dass die Regelungen der SCCs dort auch eingehalten werden können. In Bezug auf die USA machte der EuGH deutlich, dass dies aufgrund der dortigen Überwachungsgesetze nicht so einfach möglich ist. Für die erforderlichen „zusätzlichen Maßnahmen zur Gewährleistung eines ausreichenden Datenschutzniveaus“ veröffentlichte die baden-württembergische Datenschutzaufsichtsbehörde Vorschläge für die Erweiterung der Standardvertragsklauseln („SCC Plus“) und die Durchführung der vorgeschriebenen Risikoabschätzung („Transfer Impact Assessment“, TIA). Am 18. Juni veröffentlichte der Europäische Datenschutzausschuss die finaler Fassung einer Orientierungshilfe zum Thema.

Dabei blieben auch einige weitere Themen offen: Wie können die SCCs für so genannte „Processor-to-Processor“-Verhältnisse genutzt werden? Welche „zusätzlichen Maßnahmen“ sind ausreichend? Die nun veröffentlichten überarbeiteten Standardvertragsklauseln sind der Versuch der EU-Kommission, diese offenen Fragen zu beantworten.

Ab wann gelten die neuen Standardvertragsklauseln?

Die neuen Standardvertragsklauseln wurden am 4. Juni verabschiedet. Ab dem 27. September 2021 dürfen die alten SCCs nicht mehr für neue Vereinbarungen werden; für „Altfälle“ haben Unternehmen jetzt 18 Monate Zeit, um die neuen Standardvertragsklauseln in bestehende Vereinbarungen einzuarbeiten.

Was regeln die neuen Standardvertragsklauseln?

Die neuen Standardvertragsklauseln sind modular aufgebaut und können so im Vergleich zu den alten SCCs mehr unterschiedliche datenschutzrechtliche Beziehungen abdecken, also Datentransfers zwischen datenschutzrechtlich Verantwortlichen und/oder Auftragsverarbeitern. Standen bislang nur Klauseln für Datentransfers „Controller-to-Controller“ und „Controller-to-Processor“ zur Verfügung, wurden diese nun um die Optionen „Processor-to-Processor“ und „Processor-to-Controller“ erweitert.

Damit stehen nun innerhalb eines Dokuments die folgenden Module zur Verfügung:

  1. Controller-to-Controller
  2. Controller-to-Processor
  3. Processor-to-Processor
  4. Processor-to-Controller

Werden die Module 2 und 3 korrekt ausgefüllt, benötigt man keinen separaten Auftragsverarbeitunsgvertrag (AVV) nach Artikel 28 Abs. 3 DSGVO mehr – man kann also jetzt die erste und zweite „Stufe“ in einem Dokument erledigen. Lediglich Modul 4 bietet nicht diese Möglichkeit nicht. Da das Ausfüllen der Klauseln recht kompliziert werden kann, erarbeiten wir derzeit eine „Ausfüllhilfe“ für Unternehmen.

Neben dem modularen Aufbau des neuen Dokuments sind zwei weitere wesentliche Änderungen in den Klauseln 14 und 15 enthalten:

Klausel 14 setzt eine der Vorgaben des „Schrems II“-Urteils um: Sie verpflichtet Daten exportierende Unternehmen, für jeden Datentransfer im Rahmen eines „Transfer Impact Assessment“ das durch die Datenübertragung geschaffene Risiko für die Betroffenen einzuschätzen. Diese Prüfung muss dokumentiert und der Aufsichtsbehörde auf Anfrage vorgelegt werden. Es ist zu hoffen, dass sich diesbezüglich Standards in Bezug auf häufig genutzte Anbieter etablieren werden, um den bürokratischen Aufwand in Grenzen zu halten. So unangenehm der mit diesem Schritt verbundene Aufwand ist: Erst kürzlich hat das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht einem Unternehmen die Nutzung des Diensts „Mailchimp“ untersagt, weil keine Risikoabschätzung vorgelegt werden konnte.

In Klausel 15 findet sich eine neue Verpflichtung für den Datenimporteur, die ebenfalls das „Schrems II“-Urteil umsetzt: Im Falle einer Anfrage ausländischer Behörden auf die übertragenen Daten müssen sowohl der Datenexporteur als auch alle Betroffenen infomiert werden.

Weitere Neuerungen sind erweiterte Rechte der Betroffenen gegenüber dem Datenimporteur, die Option, dass weitere Parteien einer bestehenden SCC-Vereinbarung beitreten können.

Was ist nun zu tun?

Abhängig davon, in welchem Umfang Sie Daten in Nicht-EU-Länder übertragen, ist die Umstellung auf die neuen Standardvertragsklauseln mehr oder weniger aufwändig. Insbesondere die Erfassung der betroffenen Datenströme im Unternehmen, die Dokumentation der Risikoabschätzungen sowie die Vereinbarung der neuen SCCs mit Ihren Partnern und Dienstleistern kann einige Zeit in Anspruch nehmen. Beachten Sie insbesondere, dass neben Ihren Beziehungen zu großen Anbietern wie Amazon oder Google auch ihr „Kerngeschäft“ mit Ihren eigenen Kunden betroffen sein kann, wenn sie als Auftragsverarbeiter auftreten und Daten in Drittländer übertragen.

Wir empfehlen die folgenden Schritte:

1. Bestandsaufnahme („Mapping“)

Prüfen Sie, wo in ihrem Unternehmen Daten in Drittländer übertragen werden und welche Rolle Sie dabei einnehmen. Wenn möglich, nutzen Sie hierzu ihr Verarbeitungsverzeichnis und passen es gleich mit an. Kommen Sie bei Unsicherheiten gern auf uns zu.

Für Konzerne: Bitte beachten Sie, dass nicht nur der Drittlandstransfers an Externe erfasst werden, sondern auch interne Datenflüsse zu überprüfen sind.

2. Abschluss der neuen Standardvertragsklauseln

Schließen Sie mit jedem Unternehmen mit Sitz in einem Nicht-EU-Land, an das Sie Daten übertragen, die neuen Standardvertragsklauseln ab. (Wir erarbeiten dazu aktuell eine Ausfüllhilfe, die demnächst zur Verfügung steht.) Im Fall großer US-Anbieter geschieht dies voraussichtlich innerhalb der nächsten Monate „automatisch“ durch eine Anpassung der AGB der einzelnen Dienstleister.

An dieser Stelle müssen wir auf ein wesentliches Problem hinweisen, das weiterhin besteht: Ob und in welchem Umfang auch die neuen Standardvertragsklauseln durch zusätzliche vertragliche und technische Maßnahmen ergänzt werden müssen („SCC Plus“), bleibt offen.

3. Risikoabschätzungen (Transfer Impact Assessments) durchführen

Klausel 14 der SCCs schreibt im Anschluss an das „Schrems II“-Urteil des EuGH vor, dass für jeden internationalen Datentransfer eine Risikoabschätzung durchzuführen und zu dokumentieren ist. Der mit diesem Schritt verbundene Aufwand sollte bei der Planung der Umsetzung besonders berücksichtigt werden.

Welche Fragen bleiben offen?

Zu begrüßen ist, dass mit den neuen Standardvertragsklauseln endlich auch eine Option für „Processor-to-Processor“-Beziehungen vorliegt. Auch der Wegfall des separaten Abschlusses einer Auftragsverarbeitungsvereinbarung verringert den mit internationalen Datentransfers verbundenen Aufwand.

Ein ganz wesentlicher Punkt bleibt jedoch unbeantwortet, denn: Ob die neuen Standardvertragsklauseln das durch das „Schrems II“-Urteil geschaffene Problem des Datenzugriffs durch Sicherheitsbehörden in Ländern wie den USA lösen, bleibt fraglich. Unklar bleibt hier, welche technischen und organisatorischen Maßnahmen geeignet sind, um ein „angemessenes Datenschutzniveau“ zu gewährleisten. Auch ist unklar, in welchen Fällen die SCCs weiterhin um zusätzliche Vereinbarungen ergänzt werden müssen („SCC Plus“). Außerdem liegt bislang keine praktische Handlungsanweisung für die korrekte Umsetzung der Risikoabschätzung vor.

Zu einer weiteren äußerst technischen Frage, nämlich genauen den Anwendungsbereich der Standardvertragsklauseln gemäß Erwägungsgrund 7, will sich die Europäische Kommission in den nächsten Wochen noch einmal äußern.

Für Unternehmen bedeuten die neuen Standardvertragsklauseln zunächst einmal einen erheblichen Arbeitsaufwand. Die bestehende Rechtsunsicherheit in Bezug auf internationale Datentransfers ist keineswegs beseitigt. Für Datentransfers in die USA haben die EU und die neue US-Regierung laut EU-Justizkommissar Didier Reynders Verhandlungen zu einem neuen bilateralen Abkommen aufgenommen. Ob und wie dieses aussehen könnte, sowie die Frage, ob die neuen Standardvertragsklauseln bis dahin für Datentransfers in die USA „gefahrlos“ genutzt werden kann, ist derzeit völlig unklar. Über diese Entwicklungen halten wir Sie natürlich auf dem Laufenden – sprechen Sie uns bei Fragen jederzeit gern an.