Mit dem heutigen Urteil des Bundesgerichtshofs ging das Verfahren zwischen dem Bundesverband der Verbraucherzentralen und der Planet49 GmbH, einer Anbieterin von Online-Gewinnspielen, zu Ende. Der Prozess hatte insbesondere die Frage nach der rechtlichen Wirksamkeit der Einwilligung von Website-Besuchern in die Speicherung von Marketing-Cookies zum Gegenstand. Diese Frage wurde dadurch aufgeworfen, dass die Beklagte im Jahre 2013 ein Gewinnspiel auf ihrer Website veranstaltet hatte. Hierfür gelangte der Nutzer auf eine Seite mit einem Webformular, auf dem er Namen und Anschrift angeben musste, wobei sich unter den Eingabefeldern für die Anschrift zwei Einverständniserklärungen mit Ankreuzfeldern befanden. Das erste Ankreuzfeld war nicht mit einem voreingestellten Häkchen versehen. Das hier zu erteilende Einverständnis bezog sich auf Werbung durch Sponsoren und Kooperationspartner der Beklagten per Post, Telefon, E-Mail oder SMS. Die Nutzer konnten die Sponsoren und Kooperationspartner selbst auswählen und ihr Einverständnis jederzeit widerrufen.
Das weitere Ankreuzfeld war bereits mit einem voreingestellten Häkchen versehen. Dieser voreingestellte Haken konnte zwar entfernt werden, eine Teilnahme am Gewinnspiel war allerdings nur möglich, wenn der Nutzer mindestens eines der beiden Felder mit einem Haken versah. Der Nutzer sollte im Rahmen dieser Erklärung dahin gehend einwilligen, dass ein mit einer Tracking-ID versehenes Cookie auf dem Endgerät gespeichert werden sollte:
„Ich bin einverstanden, dass der Webanalysedienst Remintrex bei mir eingesetzt wird. Das hat zur Folge, dass der Gewinnspielveranstalter, die [Beklagte], nach Registrierung für das Gewinnspiel Cookies setzt, welches [die Beklagte] eine Auswertung meines Surf- und Nutzungsverhaltens auf Websites von Werbepartnern und damit interessengerichtete Werbung durch Remintrex ermöglicht. Die Cookies kann ich jederzeit wieder löschen. Lesen Sie Näheres hier [Link zur Datenschutzerklärung].“
Der Nutzer wurde ferner darauf hingewiesen, dass mittels der gespeicherten ID jeder Besuch auf den Websites eines für Remintrex registrierten Werbepartners festgehalten würde und darüber hinaus erfasst würde, für welche Produkte sich der Nutzer interessiert und welche er kauft.
Während das Landgericht Frankfurt am Main die Beklagte zur Unterlassung beider Einverständniserklärungen verurteilte, erzielte der Kläger im Rahmen der Berufung lediglich mit dem Antrag bezüglich der Nutzung von Cookies bei voreingestellten Einwilligungserklärungen Erfolg. Nachdem das OLG Frankfurt die Revision zum Bundesgerichtshof zuließ, strengte der BGH ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof an, um insbesondere die Frage nach der Wirksamkeit von Einwilligungen in die Setzung von Cookies unionsrechtlich klären zu lassen. Im rechtlichen Fokus standen hierbei Auslegungsfragen zu Art. 5 Abs. 3 und Art. 2 lit. f der ePrivacy-Richtlinie 2002/58/EG (in Deutschland umgesetzt in § 15 Abs. 3 Telemediengesetz) in Verbindung mit Art. 2 lit. h der Datenschutz-Richtlinie 95/46/EG sowie Art. 6 Abs. 1 lit. a der Datenschutzgrundverordnung 2016/679. Am 1. Oktober 2019 verkündete der EuGH das so genannte Planet49-Urteil und stellte fest, dass für eine wirksame Einwilligung eine aktive Handlung des Einwilligenden zu verlangen ist wofür vorausgewählte Checkboxen nicht ausreichen (siehe unseren Beitrag im Blog). Der EuGH begründete dies damit, dass eine voraktivierte Checkbox keine Aktivität des Nutzers darstelle. Vielmehr bestünde die Handlung des Nutzers bei voreingestellten Kästchen lediglich darin, die Voreinstellung abzuwählen.
Der BGH übernahm mit seinem heutigen Urteil diese Rechtsauslegung des EuGH und brachte das Gerichtsverfahren zum Abschluss. Bislang ist lediglich die Pressemitteilung öffentlich, die ausführlichen Entscheidungsgründe werden erst in den nächsten Tagen veröffentlicht. Der wichtigste Satz in der Pressemitteilung lautet wie folgt:
„§ 15 Abs. 3 Satz 1 TMG ist mit Blick auf Art. 5 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2002/58/EG in der durch Art. 2 Nr. 5 der Richtlinie 2009/136/EG geänderten Fassung dahin richtlinienkonform auszulegen, dass für den Einsatz von Cookies zur Erstellung von Nutzerprofilen für Zwecke der Werbung oder Marktforschung die Einwilligung des Nutzers erforderlich ist.“
Die ersten Reaktionen auf das Urteil und insbesondere auf diesen Kernsatz sind sehr unterschiedlich – und der Teufel liegt im Detail. Korrekt formuliert es aus unserer Sicht zum Beispiel der ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam:
Die Betonung liegt hier auf dem Wort Wenn. Denn die grundsätzliche Frage, Ob eine Einwilligung für das Setzen von Marketing-Cookies erforderlich ist, hatte der BGH (ebensowenig wie der EuGH im Vorabentscheidungsverfahren) nicht zu entscheiden. Anders ausgedrückt: Die eigentlich spannende, in der Onlinemarketing-Branche seit Jahren diskutierte Frage, ob man sich für die Verarbeitung pseudonymer Nutzerdaten zu Werbezwecken statt einer Einwilligung auch auf ein berechtigtes Interesse nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO stützen kann (wie es der Erwägungsgrund 47 der DSGVO auch ausdrücklich erwähnt), dazu findet sich – zumindest in der Pressemitteilung – keine Silbe. Der BGH stellt lediglich fest, dass das Inkrafttreten der DSGVO die deutsche Umsetzung der ePrivacy-Richtlinie im Telemediengesetz unberührt lasse. Die derzeitige parallele Regelung in DSGVO und TMG wird also nicht aufgelöst.
Dennoch verstehen viele die vom Bundesgerichtshof jetzt vorgegebene richtlinienkonforme Auslegung des § 15 Abs. 3 TMG als klare Marschroute, dass Online-Publisher für das Setzen von Marketing-Cookies zukünftig eine ausdrückliche Einwilligung ihrer Nutzer einholen müssen. (Damit widerspricht das Urteil übrigens der im März 2019 veröffentlichten Auffassung der deutschen Datenschutzaufsichtsbehörden, die deutsche Vorschrift sei als europarechtswidrig anzusehen und daher überhaupt nicht mehr anwendbar.) Bereits in den letzten Wochen war zu beobachten, dass große Online-Medien wie Spiegel Online auf Einwilligungsmodelle umstiegen.
Dabei bringt die Einwilligung als Rechtsgrundlage für das Onlinemarketing einen Strauß neuer Probleme mit sich: Wie können Online-Publisher Einwilligungen wirksam einholen, auf die sich alle am Onlinemarketing beteiligten Unternehmen stützen können, ohne ihren Nutzern völlig überfrachtete Popups anzeigen zu müssen? Wie kann die nach der DSGVO jederzeitige Widerrufbarkeit der Einwilligung in dieser Kette praktisch umgesetzt werden? Was geschieht, wenn Nutzer die Einwilligung massenhaft verweigern und so das Geschäftsmodell werbefinanzierter Online-Angebote unterlaufen? Viele Branchenmitglieder setzen ihre Hoffnungen derzeit in das Transparency and Consent Framework 2.0 des Branchenverbands IAB, dass die Verarbeitung von Nutzerdaten auf der Grundlage von Einwilligungen standardisieren soll.
Eigentlich liegt das Problem aber ganz woanders: Denn der europäische Gesetzgeber hatte ursprünglich beabsichtigt, die Frage des Onlinemarketings in der geplanten ePrivacy-Verordnung – als Nachfolgerin der alten ePrivacy-Richtlinie und Schwestergesetz zur Datenschutzgrundverordnung – neu zu regeln. Weil jedoch im Europäischen Rat keine Einigkeit über die Frage erzielt werden konnte, wie der Schutz der Privatsphäre der betroffenen Nutzer mit dem bestehenden Geschäftsmodell werbefinanzierter Onlineangebote zu vereinbaren ist, liegt der Plan seit Jahren auf Eis. Vielleicht gibt das heutige Urteil des Bundesgerichtshof der deutschen Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 jetzt den entscheidenden Impuls. Zumindest auf nationaler Ebene hat die deutsche Bundesregierung bereits eine Anpassung des Telemediengesetzes angekündigt.